„Wie du mit Menschen sprichst, die gerade keine Tipps haben wollen. Darüber könntest einen Beitrag schreiben, Carina.“ Im ersten Moment hörte sich das super an! Eine neue Idee für einen Blogbeitrag und auch noch ein Thema mit dem ich mich auskenne – läuft. Oder?
Wie schreibe ich über etwas, was für mich selbstverständlich ist?
Das ist die erste Frage, die mir durch den Kopf geht, als ich mich vor meine Tastatur setze, die mich mit ihren vielen Buchstaben anglotzt. Also denke ich gerade in Echtzeit schreibend darüber nach, was ich den Menschen, die diesen Beitrag lesen werden, mitgeben kann, damit es auch ihnen leichter fällt – auf gut deutsch – einfach mal die Klappe zu halten und nicht zu denken, sie hätten den richtigen Tipp, Ratschlag oder gar die richtige Lösung für ihr Gegenüber parat.
Konnte ich schon immer gut zuhören?
Ja, das konnte ich tatsächlich, aber nicht ganz uneigennützig. Denn ich habe schon immer gerne Geschichten gehört. Am liebsten Geschichten von Menschen über ihre Erfahrungen, ihre Erkenntnisse oder einfach ihr Leben. Ich empfand das immer als bereichernd und die Menschen waren gerne bereit, mir ihre Geschichten zu erzählen, während ich sie mit großen Augen anschaute.
Dazu musst du aber auch wissen, dass ich ein Mensch bin, der nicht ständig das Bedürfnis hat sich mitzuteilen. Ein Kommilitone gab mir mal das Feedback: „Du redest dann, wenn du wirklich etwas zu sagen hast. Sehr erfrischend!“ Zuvor war mir das selbst gar nicht so bewusst.
Was passiert, wenn ich Menschen einfach zuhöre?
Ich drösle das mal in die drei Ebenen auf:
- Was passiert bei mir?
- Was passiert bei meinem Gegenüber?
- Was passiert zwischen uns?
Here we go:
1. Was passiert bei mir:
Stelle dir einen großen Raum vor. Der Raum ist leer und nur ich und meine Gesprächspartnerin stehen im Raum. Dieser Raum ist offen, freundlich, wertschätzend, wertfrei und warm. Eben eine Atmosphäre, in der sich Menschen gerne dem Raum hingeben können. Wenn ich zuhöre, trete ich bildlich gesprochen im Raum nach hinten. Sprich, ich überlasse dem Anderen nahezu den gesamten Raum, denn ich bin in diesem Gespräch nicht die Hauptperson. Und ich bin still. Außer ich habe eine Rückfrage oder drücke mein Verständnis aus.
Dem Menschen, der mit mir spricht, gehört nahezu meine gesamte Aufmerksamkeit. Nahezu deshalb, weil ich auch immer noch ein Ohr nach innen zu mir selbst offen halte. Wie fühle ich mich dabei? Was macht das, was ich höre mit mir? Verstehe ich mein Gegenüber? Verstehe ich, wo sie steht? Verstehe ich ihre Haltung und ihre Gedanken?
Das ist aus zweierlei Gründen wichtig: einmal, um bei mir selbst zu bleiben, auch wenn ich eine offene Haltung habe. Aber auch, damit mein Gegenüber sich auch gehört fühlt. Ansonsten könnte sie sich auch mit einer Pflanze unterhalten, das würde dann keinen Unterschied machen.
2. Was passiert beim Gegenüber:
Das kann ich nur aus den Rückmeldungen von den Menschen, die mit mir gesprochen haben, in meinen Worten wiedergeben:
Sie fühlen sich sehr wohl. Sie haben das Gefühl, dass sie einfach einmal alles sagen dürfen, was ihnen auf der Seele liegt. Und das, ohne Angst haben zu müssen, dass ich sie bewerte oder schlecht von ihnen denke. Sie fühlen sich getragen und gehalten von der Energie des Raums, den sie erhalten.
Und das Beste daran ist: Anschließend fühlen sie sich leichter. Sie haben das Gefühl, wieder mehr Platz in sich zu haben. Mitunter sind ihnen beim Sprechen selbst Zusammenhänge klar geworden oder Erkenntnisse gekommen, die vorher im Gedankensalat nicht zu erkennen waren. Was für mich immer besonders schön ist: Nahezu alle fühlten sich dadurch bereichert ohne, dass ich groß etwas einbringen musste.
3. Was passiert zwischen uns:
Es entsteht eine Begegnung auf Augenhöhe. Bisher ist es mir noch nie passiert, dass jemand mehr wollte, als das ich bereit war zu geben. Ganz im Gegenteil! Dadurch entstehen auch keinerlei Abhängigkeiten zwischen uns. Jeder von uns bleibt in seiner Energie und damit auch in seiner eigenen Verantwortung, gerade weil ich KEINE Tipps oder gar Ratschläge und Lösungen gebe.
In diesem Raum zwischen uns herrscht vollkommenes Vertrauen, dass die Lösungen, Entscheidungen und Schritte alle bereits da sind, nur vielleicht ein wenig verschüttet. Oder vielleicht ein wenig zu weit hinter all den lauten Gedanken, die gehört werden wollen. Sind diese aber dann einmal alle ausgesprochen worden, kommen die kreativen neuen Gedanken nach vorne und die Energie fließt wieder. Nicht unbedingt sofort, aber auch nicht all zu lange danach.
Wie kannst du nun mit Menschen sprechen, die gerade keine Tipps haben wollen?
Höre zu und schenke deinem Gegenüber deine Präsenz.
Denn beim Zuhören geht es nicht darum, einfach auf den Moment zu warten, bis du mit sprechen dran bist. Das ist nur in Talkshows so. Glaube mir, auch wenn es sich nach wenig anhört, einem Menschen die eigene volle Aufmerksamkeit zu schenken ist meiner Meinung nach das größte Geschenk, was wir einander machen können.
Frage nach, wenn du etwas nicht verstanden hast
Damit schenkst du deinem Gegenüber auch noch einmal die Gelegenheit, die eigenen Gedanken anders auszuformulieren. Alleine das schafft Raum für Erkenntnisse.
Behalte deine Lösungen für dich
Denn es geht nicht um dich. Es geht nicht darum, was du tun würdest. Auch wenn dein Verstand bestimmt schon Wege auslotet, die funktionieren könnten.
Schenke deinem Gegenüber dein Vertrauen,
die für ihn richtigen Lösungen in sich selbst finden zu können. Denn manchmal kommt uns dieses Vertrauen für uns selbst abhanden und dann tut es einfach gut, dass da jemand ist, der uns so lange seines schenkt.
Das war sie nun meine Antwort auf die Frage, wie du mit Menschen sprechen – oder besser einfach nicht zu sprechen – kannst, die gerade keine Tipps brauchen.
Welchen davon wirst du in deinem nächsten Gespräch mehr beherzigen?
Ich wünsche dir viel Freude beim Zuhören, Wahrnehmen und Entdecken.
Wunderbare Grüße,
Carina
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