Hörst du auch an scheinbar jeder Ecke den Ruf nach mehr Individualität und Authentizität? Ich schon. Nur um dann festzustellen: Es werden Schablonen entworfen, in die diese Individualität passen soll.
Fast täglich trudeln sie ein, die Anfragen auf den Social Media Kanälen von Expert:innen, König:innen und Held:innen, die mir zeigen wollen, wie ich sichtbar und magnetisch werde oder auf Knopfdruck Kundschaft anziehe.
Schon in der Schule mochte ich es nicht, wenn mir jemand sagte, wie etwas geht, nur weil es “so gemacht wird”. Und auch heute mag ich es nicht, wenn mir diese oberlehrer:innen-haften Aussagen wie Wellen entgegenschwappen, um mir zu sagen, wie ich auf dem schnellsten Weg zu einem gewünschten Ergebnis komme – ohne überhaupt zu fragen, ob ich dieses Ergebnis will. Das Ganze verpackt in einen Singsang aus Konjunktiven, gespickt mit Best-Practice-Erfahrungen, warum besagte Oberlehrer:innen so genau wissen, was zu tun ist.
Worüber die Wenigsten sprechen, wenn es um Best-Practices geht
Mache ich nicht, was sie mir sagen und habe trotzdem Erfolg, gehöre ich zu den wenigen Ausnahmen, die Glück hatten. Mache ich es nicht und habe keinen Erfolg, gehöre ich zu den armen „Tröpfchen“, die besser auf Herrn:Frau Oberlehrer:in gehört hätten. Hoffentlich bin ich spätestens jetzt demütig genug, um zu gehorchen und dem Ruf zu folgen.
Dass alle Best Practices dieser Welt das Ergebnis zahlreicher Schleifen von Versuch und Irrtum sind, wird an dieser Stelle gerne verschwiegen. Schließlich muss ja nicht jeder so dumm sein, die gleichen Fehler zu wiederholen. Hat ja auch wunderbar funktioniert, als ich als Jugendlicher von meinen Eltern gewarnt wurde und völlig fehlerfrei durch diese Phase gesprintet bin – nein!
Es wird auch gerne verschwiegen, dass manche Best Practices für die Person, die sie jetzt als Masterplan verkaufen will, gut gepasst haben. Solche Masterpläne funktionieren vielleicht für Backrezepte und Maschinenbau als sichere Bank. Aber bitte nicht für Lebensentwürfe, Heilungswege und den eigenen kreativen Ausdruck!
Ich war mal eine Klugscheißerin, jetzt will ich’s besser machen
Vielleicht fragst du dich jetzt beim Lesen, woher diese Frau das Recht nimmt, so zu urteilen! Dann kann ich dir endlich verraten, dass ich bis vor einigen Jahren selbst eine dieser Klugscheißerinnen war. Ich dachte, wenn eine Methode oder ein Weg bei mir funktioniert hat, dann muss ich ihn nur strategisch sinnvoll in mein Geschäft einbauen und schon kann ich anderen Menschen den Weg zum heiligen Gral zeigen.
Wenn ich ehrlich bin, war ich eine Klugscheißerin und es war wirklich vermessen von mir zu glauben, dass eine Lösung, die für mich gut und richtig war, auch für einen anderen Menschen richtig ist. In Wirklichkeit kann ich das gar nicht wissen. Jeder Mensch ist ein Individuum und ich (er)kenne immer nur einen Ausschnitt, einen Teil meines Gegenübers. Das, was sie mir zeigen wollen und können. Doch anstatt zuzuhören, wartete ich auf meinen Einsatz, um meine Lösung zu präsentieren. Dabei wäre es ehrlicher gewesen, mit ihnen gemeinsam herauszufinden, wo sie gerade stehen und was sie gerade brauchen.
Deshalb plädiere ich für weniger Schablonen und mehr Individualität
Warum ich das gemacht habe, fragst du? Hm, weil ich dachte, dass es so sein muss. Ich dachte, dass man das so macht, wenn man ein erfolgreiches Coaching-Business aufbauen und führen will. Dass ich die Probleme der Menschen aufgreife, sie ihnen gegebenenfalls erst einmal bewusst mache und ihnen dann erkläre, dass es einen Weg ins gelobte Land gibt, den sie nur mit Hilfe meiner Landkarte finden. An sich ist nichts Verwerfliches daran, anderen Menschen helfen und sie unterstützen zu wollen.
Was ich mir aber vorwerfe, ist, dass ich wider besseres Wissen gehandelt habe. Ich wusste damals schon, dass die Lösung für jedes unserer Probleme in uns selbst steckt. Aber es ist nicht immer die schnelle Lösung und vielleicht auch nicht die angenehmste. Denn meist führen diese Lösungswege ins emotionalen Dickicht, das es zu durchforsten gilt. Das braucht Zeit und den Willen, hinter die eigenen Kulissen zu schauen und zu fühlen.
Auch ich bin zu dieser Zeit einer Landkarte gefolgt, von der ich mir erhoffte, dass sie mich ins gelobte Land der erfolgreichen Unternehmer:innen führt. Und das zum Teil mit Verkaufspraktiken, die ich schon in meiner Zeit als Bankkauffrau verurteilt hatte. Aber es ist auch dieser Zeit zu verdanken, dass ich heute einen anderen, meinen eigenen Weg gehe. Ich hole mir Hilfe, wo sie mir gut tut und von Menschen, die mich individuell begleiten.
Aus dieser Erfahrung heraus wünsche ich mir für uns alle als Gemeinschaft:
- Ich wünsche mir mehr Raum für Individualität und mehr Toleranz für andere und neue Wege.
- Ich wünsche mir mehr Zuhören und Fragen stellen, anstatt Methoden und fertige Lösungen zu präsentieren.
- Ich wünsche mir mehr Augenhöhe und Verstehen wollen statt Expert:innenmeinungen und Ratschläge.
- Ich wünsche mir mehr Kooperation, gemeinsames Ausprobieren und Herantasten, anstatt vorgefertigte Schablonen und Best-Practices.
- Ich wünsche mir das, weil ich der vielen X-Schritte-Pläne überdrüssig bin.
- Und ich wünsche es mir, weil ich für mehr Entdeckergeist brenne!
Wofür brennst du?
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