Ich grüße dich!
Ich sitze in einem kunterbunten Lokal. The Ivy – Brasserie in Soho, London.
Bereits 2019 stand ich vor deren Türe und hoffte vergeblich auf einen Tisch. Doch heute hatte ich Glück und genieße gerade mein Lunch.
Mein Blick schweift immer wieder über die mit bunten Bildern verzierte Wand. Die Musik spielt einen unaufdringlichen lebhaften Rhythmus im Hintergrund.
Leben an allen Tischen
An einem Nebentisch sitzt eine Gruppe lebenserfahrener Damen. Sie gehen so vertraut miteinander um, dass ich den Eindruck habe, dass sie sich schon lange kennen. Es muss schön sein, Teil einer Gruppe von Vertrauten zu sein, die sich seit Jahren begleiten.
Am Tisch gegenüber haben drei Frauen und drei Kinder Platz genommen. Kurz darauf ertönt ein ‚Happy Birthday’-Gesang und ein Cupcake mit einer Kerze darauf wird überreicht. Alle strahlen und umarmen die Jubilarin.
An einem weiteren Tisch etwas verborgen hinter Pflanzen sitzt ein älterer Herr. Ich sehe ihn kaum, dafür höre ich ihn immer wieder lachen und scherzen mit denen, die ihn begleiten. Sein Lachen zaubert auch mir ein Lächeln ins Gesicht.
Wenn die Tränen kommen
Mir steigen die Tränen in die Augen, weil ich denke, wie viel Leben, Freude, Vertrautheit und ja, auch Liebe hier den Raum erfüllt. Ich bade regelrecht in diesem Gedanken, der mir zwischen all den unschönen Weltnachrichten gerade so gut tut. Hier, umgeben von Farben, Mustern, Musik, Lachen und Gesprächen kann ich mir gerade eine Auszeit von all dem nehmen, was mich sonst umtreibt.
Am liebsten würde ich mich an jedem Tisch dazu setzen. Würde fragen wollen: „Wer seid ihr?”, „Wie habt ihr euch kennengelernt?”, „Welches waren eure prägendsten Erfahrungen” und „Welche Gedanken haben euch weitergehen lassen, auch wenn das Leben sich gerade schwer angefühlt hat?”
Ich liebe es einfach, in die Erfahrungen, Geschichten und Gedankenwelten anderer Menschen einzutauchen. So, wie die Brasserie, in der ich gerade sitze, bilden Menschen und ihre Gedanken eigene Welten in sich. Verbunden untereinander und doch… ja, auch ganz individuell, persönlich, intim. Für mich sind dies verwobene Geschichten, die es zu entdecken gilt.
Von Online-Freundschaften und echten Begegnungen
In ein paar Stunden treffe ich mich wieder mit meinen Freundinnen, die ich hier in London besuche. Wir haben uns Anfang des Jahres in einem Online-Kurs kennengelernt und so lieb gewonnen, dass wir uns unbedingt treffen wollten. Da beide hier in London leben, bin ich auf Reisen gegangen. Sehr untypisch für mich, physisch und auch noch alleine zu reisen. Bin ich doch sonst eher in meinen Gedanken unterwegs. Doch dieses Mal habe ich meine fünf Hunde verteilt, während mein Mann meine Reise und Unterkunft gebucht hat; länger übrigens, als ich sie selbst gebucht hätte. „Das machst du schließlich nicht ständig und deshalb solltest du es ausnutzen”, war seine Antwort, als ich ihn mit offenem Mund und großen Augen anblickte. Er kennt mich einfach zu gut.
Mit Melissa und Karen, den beiden Londoner Freundinnen, verbindet mich neben dem Kurs auch die Leidenschaft, tief in unsere eigenen Muster und Persönlichkeiten zu tauchen. Als wir uns nach meiner Ankunft in London zum Abendessen trafen, waren drei Stunden innerhalb von gefühlten fünf Minuten vergangen und wir haben nur an der Oberfläche dessen gekratzt, was wir teilen und erkunden wollen. Zum Glück bleiben uns noch ein paar Tage.
Eine Nische für dich
Ich werde nun noch einen Kaffee zum Abschluss trinken und anschließend wieder durch die Türe in Außenwelt treten. Eine kleine Auszeit im Hotelzimmer wird mir gut tun vor dem nächsten Gesprächs-Marathon heute Abend. Und schließlich will ich diesen Brief, den ich eben geschrieben habe, noch an dich senden.
Ach ja, fast hätte ich es vergessen: Auf meinen letzten Brief habe ich so viele wunderbare Rückmeldungen erhalten! Ich hatte eine Abmeldewelle erwartet und habe stattdessen herzerwärmende Worte und Gedanken erhalten, die ich noch gar nicht alle beantworten konnte – aber noch werde!
Hab eine gute Zeit, bis wir uns wieder lesen. Und vielleicht hast du auch die Möglichkeit, dir in einer Nische eine Auszeit von der Welt zu nehmen, so wie ich die letzte Stunde.
Liebste Grüße und bis bald,
Carina


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